Prignitzer vom Montag, 07.01.2019

Lenzen. Verkäufer, Seelsorger, Detektiv, Koch, Comedian. Die Frauen der VR PLUS Energie-Tankstelle Lenzen sind Multitalente. Wer nur fix seine Rechnung bezahlt, wird davon nichts mitbekommen. Allenfalls nimmt er zwischen Zapfsäule und Kasse ein freundliches Lächeln wahr. Doch wer sich zu einer Tasse Kaffee verführen lässt, mit den Damen spricht und dem Treiben zuschaut, bekommt schnell ein Gespür dafür, dass dies keine normale Tankstelle ist. Man könnte auch sagen, wer nur zum Tanken hierher kommt, verpasst etwas. Zum Beispiel den schmackhaften Mittagstisch. Schnitzel oder ein halbes Hähnchen für Arbeiter, Kohlrouladen wie bei Muttern daheim oder ein Hamburger auf die Schnelle. „Der Renner ist unser Dönerteller mit Bratkartoffeln“, verrät Claudia Koch. Sie ist die Chefin und hat den Wandel der Tankstelle vom reinen Kraftstoffverkauf hin zu einem beliebten Treff mitgeprägt. 2002 war ihr erster Arbeitstag. Als gelernte Verkäuferin bei der Konsumgenossenschaft hatte sie zwar keine Ahnung von Zapfsäule und Autozubehör, aber sie konnte verkaufen. „Wir hatten zwei kleine Regale: Zigaretten, Motoröl, Scheibenwasser. An einen Imbiss war gar nicht zu denken.“ Eines Tages kamen aufgebackene Brötchen und Kuchen dazu. „Dann boten wir belegte Brötchen an. Mit zehn haben wir begonnen, schnell wurden es 40.“ Heute wird auch schonmal nachgeschmiert und am Sonntag bildet sich eine Warteschlange. Das liegt nicht nur an dem großen Interesse. „Unsere Kunden kommen fast ausschließlich aus Lenzen und hier kennt jeder jeden,“ sagt Claudia Koch. Ein Schwätzchen gehört dazu. Man fragt nach Kindern und Enkeln, wie es der Frau geht und Stammkunden verabschieden sich in den Urlaub. Das ist gut so, denn wenn der tägliche Besuch ausbleibt, machen sich die Frauen Sorgen. Gegebenenfalls wird sich erkundigt ob alles in Ordnung ist. Ihre schwarzen Schafe kennen sie genauso. Das ein Kunde mal sein Geld daheim liegen lässt oder schlicht weg das Bezahlen vergisst, komme gar nicht so selten vor, wie man meinen mag. Manchmal genüge es schon, die Kollegin zu fragen, ob Herr so und so vorbeigeschaut habe. „Oder wir schauen uns die Aufzeichnungen der Kamera an.“ Sagt Kesrin Pflugbeil. Dann werde einfach angerufen und der Sünder kehrt reumütig zurück, begleicht seine Rechnung. Der klassische Tankbetrüger sei in Lenzen die Ausnahme. Kesrin Pflugbeil stieß 1998 zum Team dazu. „Aushilfe gesucht, aber nicht Rentner.“ Stand auf dem Aushang. Gerade erst nach Lenzen gezogen und im Erziehungsjahr, entdeckte sie für sich eine Chance, wieder ein wenig zu arbeiten. Aus der Aushilfe wurde eine Vollzeitstelle. Nichts Ungewöhnliches in dieser Tankstelle wie Elke Lents Geschichte zeigt. Sie begann 2000 als Reinigungskraft. Nach der Geburt ihrer Zwillinge habe sie ihre Arbeit als Arzthelferin aufgeben müssen. Klar sei Reinigungskraft kein Traumjob, „aber das war mir egal, ich wollte wieder raus aus Gandow, wo nicht einmal ein Hahn kräht“. Als dann die nächste Einstellung bevorstand, habe man sie direkt gefragt. „Erfreut sagte ich zu“, so Elke Lent, die sich auch zuvor schon dem Team zugehörig fühlte. „Das ist unser großes Plus“, sagt Claudia Koch. Hier gebe es keinen Zickenkrieg. So freundlich wie sie zu den Kunden seien, so freundschaftlich sei der Umgang untereinander. „Dienste werden abgesprochen, familiäre Interessen berücksichtigt, zu Weihnachten gibt´s Geschenke“, betont Koch. Während Tankstellen für eine hohe Fluktuation unter den Angestellten bekannt seien, ist es hier genau andersherum: Wer anfängt, bleibt. Aktuell sind es acht Frauen. Gut möglich, dass es bald wieder einen Aushang geben wird. „Wir werden uns vergrößern“, kündigt Heike Wilke an. Sie ist in der Genossenschaft VR PLUS Altmark-Wendland eG für die Tankstellen (Bereich Energie) zuständig. Die Bank hat sich mehrere Geschäftsfelder erschlossen und betreibt insgesamt 22 Tankstellen. „Wir wollen die Küche erweitern und die zwölf Sitzplätze im Innenbereich verdoppeln“, kündigt sie an. Das Frauenteam habe viel Power, die wirtschaftlichen Zahlen seien gut. „Der Shop Umsatz liegt bei 45 Cent pro Liter. Im Durchschnitt bringen es Tankstellen auf 20 Cent“, sagt Wilke. Die nackten Zahlen unterstreichen das, was die Frauen gesagt hätten: „Hier ist ein Treffpunkt.“