Ganze Abende könnte sie mit ihren Geschichten aus zwei Jahrzehnten Arbeit an der Tankstelle füllen. Seit 1998 arbeitet Kesrin Pflugbeil in der Lenzener Tankstelle und erinnert sich, wie klein früher alles begonnen hatte. „Zehn Quadratmeter war der Shop groß und wir haben damals nur Bockwurst mit Brötchen verkauft.“ Mit der Wiedereröffnung der Tankstelle samt Bank auf 220 Quadratmetern am Mittwoch haben sich die Gegebenheiten also drastisch verändert.
Aber es sei immer „peu à peu“ gegangen, sagt die dienstälteste Mitarbeiterin und heutige Leiterin der Tankstelle samt Bistro. Die größte Veränderung hat aber ohne Frage die jetzige Neueröffnung mit sich gebracht. Denn die Tankstelle ist nun auch Krämerladen, Café, Bankfiliale und Miniaturgartencenter.
„Eigentlich hatten wir uns nur eine größere Küche für unseren Mittagstisch vorgestellt“, so Pflugbeil. Aber Grit Worsch, Vorstandsvorsitzende der VR PLUS, hatte die Sache größer gedacht. Sie wollte Bank und Tankstelle zusammenführen - zwei Welten, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Aber seit der Pandemie ist bekannt, dass beide Einrichtungen zur kritischen Infrastruktur zählen. Diese nun in Lenzen an einem Ort zu bündeln und damit „einen Beitrag für die Attraktivität des ländlichen Raums“ zu leisten, wie Worsch in ihrer Eröffnungsrede sagte, sei die Zielmarke gewesen.
Die Vorstandsvorsitzende betont die Einmaligkeit dieses Ansatzes. „Andere Banken erkundigen sich schon bei uns“. Es sei der Schritt, dem Digitalen etwas entgegenzusetzen, sich eben nicht aus der Fläche zurückzuziehen, sondern neue Ansätze zu suchen, sich als Bankfiliale auf dem Land zu behaupten.
Für Lenzens Bürgermeister Thomas Wange ist das dieses neue kleine Einkaufs- und Servicezentrum „ein Schmuckstück und eine Bereicherung“, wie er es bei der Eröffnung nannte, zu der auch sämtliche an dem Bau beteiligten Firmen geladen waren. Die Lenzener können nun an einem Ort ihr Auto betanken, sich ein Mittag gönnen, Gemüse oder Getränke kaufen, dabei noch schnell eine Überweisung tätigen und Geld abheben und dieses in einen neuen Spaten investieren.
Denn der Neubau, mit dem im April 2020 begonnen wurde und der 1,2 Millionen Euro gekostet hat, bietet nun auch eine kleine Markthalle, die mit Tierfutter, Dekoartikeln und Gießkannen aufwartet. Diesen Verkauf auch noch zu integrieren, sei letztlich auf die Nachfragen der Kunden zurückgegangen, so Tankstellenleiterin Kesrin Pflugbeil. Die Halle steht nun, wie auch der Tank- und Bistrobereich und der Selbstbedienungsbereich der Bank, den Kunden sieben Tage in der Woche von 6 bis 21 Uhr offen.
Und dann gibt es da eben noch die vollständig ausgestattete Bankfiliale - in dezenten Grau- und Blautönen abgesetzt von den warmen Farben des Bistros. Neben Selbstbedienungsbereich mit Automaten für Überweisungen, Kontoauszüge und das Geldabheben gibt es auch den extra abgetrennten Beratungsbereich, in dem die festen Mitarbeiterinnen und die Spezialberater ihre Kunden betreuen. Für Diskretion ist dabei gesorgt. Hinter den großen Glastüren mit Zeichnungen der Lenzener Sehenswürdigkeiten verstummt der Trubel von Tankstelle und Bistro.
Und nicht nur die Zeichnungen unterstreichen die regionale Verortung des neuen Hauses. Gleich im Eingangsbereich finden Kunden Honig aus Lanz, Fruchtaufstriche aus Lenzen sowie saisonales Obst und Gemüse von nebenan. Es sind diese Details, die für ein anderes Einkaufserlebnis und Ambiente als an einer regulären Tankstelle sorgen. Keine anonyme Dienstleistungsstätte soll das neue Haus sein, sondern ein Ort zum Treffen und Verweilen. Dazu lädt nicht nur der Bistrobereich im Innern ein, sondern auch die Sitzgelegenheiten im Außenbereich. Von Montag bis Freitag kann man sich hier nun das frisch zubereitete Frühstück oder Mittagessen schmecken lassen.
Wird der neue Ansatz von den Lenzenern angenommen, würde es die Tradition der schon seit langem gut etablierten Tankstelle fortsetzen, die dank ihrer engagierten Mitarbeiterinnen auch zuvor schon eine Institution in Lenzen gewesen ist.
Artikel von Fabian Lehmann.